Dienstag, 22. März 2011

Holi

In Indien werden alle wichtigen Feste von allen Religionen gefeiert. Und da es hier viele Religionen gibt (Hindus, Moslems, Buddhisten, Sikhs, Jains, Christen und einige mehr) haben wir fast alle vierzehn Tage einen Feiertag.



Eines der zwei wichtigsten Feste der Hindus ist Holi. Natürlich gibt es zu Holi wie bei allen Hindufesten eine phantastische Göttergeschichte. Diese werde ich hier aber nicht erwähnen. Aber wie man sieht, feiert man Holi mit farbigem Puder, den man sich gegenseitig anwirft. Zu späterer Stunde kommt dann noch Wasser dazu und die «Sauerei» ist perfekt. Finian und Linus haben sichtlich Freude daran – ich ein wenig weniger, da ich schliesslich die ganze Pracht von der Haut, den Haaren und Kleidern wegschrubben muss. Die chemischen Farben sind recht aggressiv und unsere blonden Haare erhalten so einen leichten Grün- oder Pinkschimmer.



Jedes Kind sollte an diesen Tagen ein neues Kleidungsstück erhalten, doch leider ist dies aus finanziellen Gründen nicht allen Eltern möglich. Mir wird immer wieder gesagt, dass Holi ein wenig wie unser Weihnachten sei. Zum Glück haben die Menschen hier keine Ahnung, was für eine Päcklischlacht wir haben und wie enttäuscht unsere Kinder wären, wenn sie «nur» was zum Anziehen bekommen würden! Happy Holi!

Freitag, 18. März 2011

Sonnenaufgang, Maschinengewehr und Affentheater




Auch am letzten Wochenende wurde es uns kaum langweilig. Von unseren Freunden Sibylle und Beat bekamen wir die Einladung, frühmorgens um 6.00 Uhr zusammen eine Bootsfahrt auf dem Ganges mit Sonnenaufgang zu machen. Der Sonnenaufgang auf dem Ganges ist einfach magisch und so habe ich trotz der frühen Zeit sofort zugesagt.

Natürlich musste ich Finian und Linus aus dem Bett zerren. Und da Linus die halbe Nacht über Bauchweh geklagt hatte, waren wir recht müde.

Sobald man aber am Assi-Ghat steht und um 6.00 Uhr die Feuerzeremonie beobachtet, ist man wieder hellwach. Linus klagt leider immer noch über starke Bauchschmerzen und ich hoffe nur, dass er nicht auf dem Boot Durchfall bekommt (der Durchfall und die Kötzlete begannen erst in der darauf folgenden Nacht!).

Alles geht gut. Und bereits nach ein paar Minuten auf dem Fluss, sehen wir ein paar mal ganz kurz den Rücken eines Ganges-Delphins. Sie sind schwarz und recht selten zu sehen. Was für ein Glück! Wir sind zwei Stunden auf dem Boot und können uns von allem rund um uns herum kaum satt sehen.

Alle Inder, die ich kenne, stehen zwischen 4.00 und 6.00 Uhr auf. Obwohl die Sonne erst um 6.45 Uhr aufgeht, sind bereits hunderte Menschen am Wasser, um zu beten, die Wäsche zu waschen, sich selbst zu waschen oder ihren Geschäften nachzugehen. Alles ist spannend und so vergisst auch Linus seine Bauchschmerzen.

Als wir nach zwei Stunden vom Boot gehen, zeigt Linus auf einen Polizisten. Da Beat fliessend Hindi spricht, übersetzt er dem Polizisten die Frage, die Linus sofort gestellt hat. Er möchte wissen, wo sein Gewehr ist. Inder sind sehr kinderfreundlich und so hat er Linus liebevoll in die Backe gekniffen, ihn an der Hand genommen und zu einem anderen Polizisten geführt, der ein Maschinengewehr umgehängt hat. Und weil Linus so Freude daran hat, durfte er das schwehre Gewehr auch gleich halten. Auch fotografieren ist erlaubt (beim Zürcher Flughafen, vor unserem Abflug, durften wir nicht einmal ein Bild von den Sicherheitsleuten schiessen). Ja, in Indien ist vieles möglich. Linus ist überglücklich und sehr stolz!



Nach den vielen Erlebnissen sind wir alle zusammen in unser Lieblingsrestaurant gegangen. Die Pizzeria am Assi-Ghat. Dort gibt es «pancakes with sugar» für Finian und «curd with honey» für Linus. Es ist 8.30 Uhr, alle sind zufrieden und wir fragen uns, was der junge Tag wohl noch bringen wird.

Ich beschliesse, dass wir nun endlich in einen der kleinen Juwelierläden in der Nähe gehen und mir schöne Zehenringe aus Silber besorgen. Zusammen mit den Fussketteli an beiden Füssen ist es nun somit klar, dass ich verheiratet bin. Diesen Schmuck bekommt die Braut an ihrer Hochzeit und wird immer getragen. Sobald ich meine Fussringe trage, bekomme ich von vielen Inderinnen Komplimente und anerkennende Worte. So gehöre ich ein kleines bisschen mehr dazu.

Auf dem Rückweg begegnen wir einem Bettler mit zwei dressierten Affen. Die Augen der Affen wurden mit Kajal schwarz umrandet, damit sie ein wenig wie Hanuman (der Affengott) aussehen. Finian und Linus haben an der kurzen Show Freude und ich wünschte mir, dass es auch hier einen Tierschutz geben würde.



Um 16.00 Uhr habe ich mit meiner indischen Freundin Maria abgemacht. Nach zweieinhalb Jahren können wir das erste mal wieder in Ruhe sprechen und uns austauschen. Doch leider kommt es trotzdem nicht richtig dazu. Finian und Linus sind langsam müde und völlig überdreht (es war unmöglich, sie zu einer Mittagspause zu bewegen). Sie machen nur Blödsinn und ich muss sie dauernd zurechtweisen. Ich habe mich richtig für sie geschämt und ich war wütend und traurig, dass ich nach so langer Zeit mich nicht richtig auf Marias Worte konzentrieren konnte. Es gibt Momente, da wünschte ich mir eine Kinderauszeit! Für die privaten Gespräche braucht man einfach einwenig Ruhe und genügend Zeit - etwas, das durch die Kinder leider zu kurz kommt.

Donnerstag, 17. März 2011

Beim Fotografen

Wenn es im Kiran keine Generatoren (Stromerzeuger mit Diesel) gäbe, hätten wir hier von früh morgens bis gegen Abend keinen Strom. Auch in der Stadt gibt es andauernd Stomunterbrüche, die manchmal Stunden dauern können. So ist es nicht ratsam, von strombetriebenen Maschinen abhängig zu sein. Ich kenne keinen indischen Haushalt, der eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank besitzt. Alles wird von Hand gemacht.

Indien ist somit auch immer eine Reise in die Vergangenheit. Was wir bei uns nur noch im Museum bestaunen können, wird hier noch immer wie vor hundert oder ein paar hundert Jahren verwendet.

In den meisten Wäschereien wird die Wäsche noch immer mit viel Kraft auf einen Stein geschlagen, in der Sonne aufgehängt und dann mit einem Kohle-Bügeleisen gebügelt. Alle Schneider, die ich kenne, benutzen mit Fuss oder Hand betriebene Nähmaschinen. Übrigens werden diese Nähmaschinen noch heute in Indien produziert.

So ist es auch nicht erstaunlich, dass ein Fotograf, den ich bei einer Rikschafahrt entdeckt habe, noch Porträts mit einer wohl 100-jährigen Kamera schiesst. Das mussten wir natürlich ausprobieren. Der Fotograf erklärte mir mit seinen paar Wörtern Englisch, dass schon sein Grossvater und Vater damit fotografiert hätten. Er holt einen kleinen Behälter mit Entwicklerflüssigkeit hervor und steckt das Ganze in den Kasten. Auch wir durften mal in den Kasten reinschauen. Durch die Linse sieht man alles auf dem Kopf und als nach ca. 15 Minuten das Negativ vom Besitzer entwickelt wurde, so war es meinem verwöhnten 1:1-Farbbildauge kaum möglich zu entscheiden, ob es was taugt. Der Fotograf meinte aber «good» und so lassen wir uns überraschen. In zwei Wochen, wenn wir wieder in der Stadt sind, werden wir das s/w-Bild von Finian und Linus abholen. Wir freuen uns auf das Bild, und das Erlebnis, wie es dazu gekommen ist, werden wir wohl nie mehr vergessen.

Mittwoch, 16. März 2011

Kiran-Nursery


Von Montag bis Freitag arbeite ich morgens in der Nursery. Vier Lehrerinnen aus der Unterstufe geben in der Nursery je 45 Minuten Unterricht. Der Unterricht findet entweder in der grossen Halle statt oder hinter der Halle open air (siehe Bild). Die Schwerpunkte sind Hindi-Schrift, Englisch-Schrift, englische Zahlen von 1 bis 10, Farben und Formen in Englisch.

In Indien wird sehr früh Leistung gefordert und so lernen die Kinder viel auswendig und wiederholen alles, was der Teacher sagt. Wenn man dann im Kindergarten (nur Schulunterricht) und in der Schule die Kinder beobachtet, dann merkt man schnell, dass vieles nicht verinnerlicht und begriffen wurde. So kommt es oft vor, dass ein Kind einige Jahre Englisch hatte, aber nicht in der Lage ist, ein normales Umgangsgespräch zu führen.

Meine Aufgabe in der Nursery ist es, die Lehrer zu mehr Kreativität im Unterricht zu bewegen. Das ist mir inzwischen recht gut gelungen. Die vielen Spielsachen und das Unterstützungsmaterial, das ich aus der Schweiz mitgebracht habe, wird nun rege eingesetzt. Die Lehrer haben Freude daran und die Kinder natürlich auch. Obwohl ich hier keine Spielgruppenphilosophie einbringen kann, bin ich doch zufrieden, dass der Unterricht erheblich dynamischer wurde.

Es wird mir hier immer wieder bewusst, in was für einem privilegierten Umfeld wir in der Schweiz leben. Hier werden die 12 Kopien für die Kinder noch von Hand geschrieben und kaum fotokopiert. Jeder Malstift und jedes weisse Blatt ist so wertvoll, dass die Kinder keinen freien Zugang dazu haben. Geschweige denn zu den Spielen. Und so ist alles angeleitet und überwacht. Sogar beim Malen müssen die Kinder die Mango oder den Baum genau so abmalen, wie es die Lehrerin vorgezeichnet hat. Und wenn dann Linus den Baum blau anmalt, dann schaut die Lehrerin entsetzt auf sein Blatt.

Allerdings: Bei 1,2 Milliarden Menschen braucht es wohl ein anderes Schulsystem, als wir es als kleine, überschaubare Schweiz haben. Angepasstheit ist sicherlich wichtiger als Individualität. Und so bin ich mit meinem kleinen Input in Richtung «Mehr Spass beim Lernen» recht zufrieden.



Übrigens, «meine» Kinder in der Nursery heissen: Kumkum, Tejel, Chandani, Amit, Ranjan, Ayush, Anmol, Ranju, Sonam, Nikil, Vishal, Sanjana und natürlich Linus!

Montag, 14. März 2011

Morgenandacht

Jeden Morgen vor Schulbeginn versammeln sich alle Kinder, Lehrer und Angestellte in der grossen Halle. Dort wird zusammen gesungen, gebetet und eine Lebensweisheit vorgelesen. Zum Schluss heben alle Kinder den rechten Arm (wir Erwachsenen aus Europa haben dabei immer ein komisches Gefühl) und sagen zusammen die untenstehenden Zeilen in Hindi oder Englisch auf:


Danach rufen alle zusammen: Bharat mata ki jai! (Guten Tag, Mutter Indien!) Diese Worte werden in allen Schulen in Indien aufgesagt. Kein Wunder, dass alle Inder so grosse Patrioten sind. Uns in der Schweiz würde das vielleicht auch gut tun.

Mittwoch, 9. März 2011

Surbahar und Hanuman


Bei unserem dritten Varanasi-Wochenendbesuch hatten wir wieder mal grosses Glück. Auf dem Weg zu unserem Zimmer sind wir Uma begegnet. Ich habe sie vor 13 Jahren bei meinem ersten Varansi-Besuch kennengelernt. Sie ist Französin und lebt wohl schon über dreissig Jahre in dieser heiligen Stadt. Da sie noch immer Reisegruppen in Varanasi betreut, informierte sie uns, dass gleich nebenan im wunderschönen Guest House «Ganges View» ein kleines Konzert für Gäste stattfindet. Sie hat uns spontan dazu eingeladen und wir kamen unverhofft in den Genuss eines Konzerts eines der berühmtesten indischen Surbahar-Spielers. Sein Name ist Pandiji. Wir sitzen auf dem Boden und hören dem langsam anfangenden Drupad-Spiel zu, das sich während einer halben Stunde langsam steigert. Finian ist ganz fasziniert von dem aussergewöhnlichen Instrument, dem anmutigen und stolzen Künstler, den ungewohnten Klängen und der wunderschönen ruhigen Stimmung. Linus wurde so relaxt, dass er eingeschlafen ist.

Vor 13 Jahren habe ich 14 Tage im «Ganges View» verbracht. Dazu kommt noch, dass die zwei riesigen Bilder, die wir zuhause im Wohnzimmer haben, hier gemalt wurden. Shashankji, der Besitzer vom «Ganges View», hat uns sogleich erlaubt, dass wir am nächsten Tag bei ihm frühstücken dürfen (sonst nur für Hotelgäste) und Finian mit dem Maler auf der Dachterrasse malen darf. Er meinte, dass wir Freunde des Hauses und daher sehr willkommen seien. Das ist wieder sehr indisch: Vor 13 Jahren habe ich mal dort logiert und es ist ihm klar, dass wir nebenan in der superbilligen Anami Lodge hausen, trotzdem sind wir Freunde des Hauses!

Am nächsten Tag sind wir gleich rüber und genossen ein wunderbares Frühstück mit Kännli und Servietten. Dann kam der Hausmaler und sein Enkel, der bei ihm in der Lehre ist. Finian bekam ein Blatt und die Anweisung, einen Arm und einen Fuss abzumalen. Das hat er dann auch super hingekriegt. Dann wollte er aber lieber eines der schönen indischen Gemälde an der Wand abmalen. Wenn er beim Künstler in der Lehre wäre, dann würde er wohl jahrelang erst Details abmalen, bevor er sich an grosse Bilder wagen dürfte. Aber es hat Finian grossen Spass gemacht. Nun weiss er, wer unsere Bilder gemalt hat und wo sie entstanden sind. Er wird sie wohl in Zukunft mit anderen Augen sehen.



Varanasi, die Stadt der Tempel. Man braucht nur ein wenig rumzuschlendern – sofort steht man wieder vor einem Tempel. Wir beobachten immer wieder, wie die Hindus ihre Rituale zelebrieren. Man bringt Blumen, Wasser von der Mutter Ganga, Süssigkeiten, Milch und bestimmte Gräser und Blätter. Jeder Gott wird an einem bestimmten Wochentag speziell gewürdigt. Samstag ist Hanumantag. So sind wir also auch in den Affentempel gegangen (Hanuman ist ein Affe). Klar, dass es in diesem Tempel viele Affen gibt, die von den Tempelbesuchern gefüttert werden. Leider darf man keine Kamera mitnehmen. So bleibt uns einfach die schöne Erinnerung und das Thika auf der Stirn.

Integration


Seit ein paar Wochen tragen Finian und Linus die Kiran-Schuluniform. Linus ist recht stolz darauf und Finian hat sich inzwischen daran gewöhnt. So werden sie immer mehr ein Teil vom Ganzen und fallen nicht mehr so auf. Man kann also sagen, dass Finian und Linus inzwischen recht gut integriert sind. Auch wenn es um den normalen Schulunterricht geht, fallen sie fast nicht mehr auf. Bei allen Aktivitäten sind sie dabei. Wie auch heute bei der «Kiran-Putzete». Alle Kinder und Angestellten gehen für eine Stunde raus, fegen und sammeln alle Blätter zusammen, reissen Unkraut aus und werfen allen Unrat weg. Das Motto ist: Was schön sein soll, muss auch gepflegt werden. Das wird wohl in Indien nur im Kiran gelehrt!


Am Nachmittag habe ich inzwischen eine neue Aufgabe gefunden. Ich arbeite nun von 13.00 bis 15.00 Uhr in der Special Education (morgens weiterhin in der Nursery). Dort sind alle Kinder, die nicht im normalen Schulalltag mithalten können und individuelle Förderung brauchen. Es gibt dort drei Gehörlosenklassen und drei Abteilungen für Kinder mit zerebralen Störungen. Dort bin ich. Meine Aufgabe ist es, fünf Kindern (Sneha, Abdulla, Otsches, Suhel und Satiam), die in den ersten Kindergarten wechseln sollen, die Zahlen von 1 bis 50 in Englisch beizubringen. Das macht sehr viel Spass, weil die Kinder super motiviert und unglaublich liebenswert sind.

Da ich nicht mehr im ersten Kindergarten bin, wollte natürlich Linus auch nicht mehr dort bleiben. Er war mit dem Schulunterricht sowieso recht überfordert und nun spielt er im oder um den Special-Education-Sektor herum und kann machen, was er will. Was mich besonders freut, ist, dass er inzwischen keine Angst mehr hat von den manchmal unkontrollierten Bewegungen oder Ausrufen der Behinderten. Sogar dem schwerstbehinderten Ravi, der sich sofort eine Hand schnappt und diese fast nicht mehr los lässt, gibt er freiwillig die Hand und staunt über das Anderssein von ihm. Ja, wir sind inzwischen wirklich integriert!