Ich stehe jeden Morgen um 7.00 Uhr auf und wasche mich mit kalten Wasser, da der Boiler leider nicht funktioniert. Wenn möglich wasche ich noch die schmutzigen Kleider (von Hand) und hänge sie draussen auf. So bin ich sicher, dass die Kleider am Abend trocken sind.
Um 7.30 Uhr wecke ich die Kinder und mache Frühstück. Es gibt Corn-Flakes mit frischer Kiran-Kuh-Milch, Kiran-Brot mit Butter und Konfitüre und manchmal ein Ei oder Joghurt. Da man im Kiran ausser Milch, Brot und Guetzli nichts kaufen kann, bestelle ich alles, was wir brauchen, bei Hiralal (der Kiran-Drucker und ein guter Freund von mir). Er kauft für uns in der Stadt ein und bringt uns alles ins Kiran. So können wir auch Gemüse, Eier oder mal eine Flasche Coca-Cola bestellen!
Um 9.00 Uhr treffen sich alle Kinder und Angestellten in der grossen Halle, um zu singen und zu beten. Dann gehen die Kinder in ihre Klassen oder in die Therapie und bekommen dort zuerst einmal einen halben Apfel oder einen Becher Milch, Sojasprossen oder manchmal auch ein Ei. So wird garantiert, dass alle Kinder etwas im Magen haben und bereit sind für die Schule.
Finian geht nun selbständig in die 1. Klasse. Im Laufe des Morgens sehe ich immer wieder mal bei ihm rein. Ansonsten bin ich am Morgen mit Linus in der Nursery. Da eine Lehrerin in einer Ausbildung ist, bin ich für eine Lektion verantwortlich. Ich versuche so viel wie möglich mit den Kindern zu spielen oder raus zu gehen. Da die anderen Stunden Lernziele in Hindi, Englisch und Zahlenschreiben haben, ist das für die Kinder eine willkommene Abwechslung. Für Linus ist das Kiran-Leben recht hart. Hier wird bereits von den Kleinsten verlangt, stundenlang zu sitzen, zuzuhören, zu schreiben und alles nachzuplappern. Für Linus eine ganz neue Erfahrung.
Dazu kommt noch, dass er kein Wort versteht. Weder in Hindi noch in Englisch. Das macht ihn sehr unsicher. Doch nach ein paar Wochen wird alles immer wie normaler und er löst sich immer mehr von mir und macht erstaunlich gut mit.
Um 11.45 Uhr gibt es für die Kinder pro Klasse das Mittagessen. Alle sitzen zusammen in einer Reihe am Boden. Zuerst wird zusammen gebetet, danach wird gegessen. Natürlich mit der rechten Hand. Es gibt jeden Tag zum Mittag- und Abendessen Reis, Dahl und Gemüse. Da Finian kein Gemüse isst, gibt es für ihn nun seit Wochen zweimal pro Tag Reis und Dahl. Und Linus isst meistens nur Reis, da er den Dahl nicht gern hat und das Gemüse zu scharf für ihn ist. Wenn er Glück hat, fischt seine Lehrerin ein paar Kartoffeln aus dem Topf. So versuche ich, ihm nachmittags so viel Früchte wie möglich zu geben.
Nach dem Essen wäscht jedes Kind seinen eigenen Teller. Linus macht das leidenschaftlich gern!
Nach dem Essen wird bis 13.00 Uhr draussen gespielt. Dann beginnt wieder der Unterricht. Finian wechselt dann in den grösseren Kindergarten, weil dort der Englischunterricht für ihn passender ist. Linus ist am Nachmittag im kleineren Kindergarten und muss dort
noch mehr Schulstoff über sich ergehen lassen. Auch dort finde ich keine Aufgabe, da der Kindergartenunterricht reiner Schulunterricht ist. Es gibt keine Spielsequenzen und so beschliesse ich, dass ich mich um eine andere Nachmittagsarbeit bemühe.
Immer am Mittwochnachmittag wird der Unterricht vom grossen und kleinen Kindergarten zusammengelegt. An diesem Tag wird zusammen gespielt, Yoga geübt oder gezeichnet. So haben Finian und Linus einmal in der Woche zusammen Unterricht, was sie sehr geniessen.
Um 15.00 Uhr ist die Schule fertig und wir gehen zusammen in unser kleines Guest House, welches wir für drei Wochen mit Christin aus der Schweiz teilen. Sie ist eine sehr angenehme Mitbewohnerin und die Kinder haben sie sehr gerne.
Dann müssen die Kinder erst mal erzählen, was sie so alles erlebt haben, und bei einem Zvieri mit etwas Süssem kann man sich dann wieder gut erholen.
Meistens spielen die Kinder dann bis 18.00 Uhr draussen (dann wird es dunkel) mit den Kiran-Kindern oder den Hunden, hören auf dem Bett eine vertraute Schweizerdeutschkassette oder Finian malt wieder mal eines seiner tollen Bilder. Im Augenblick sind Kampfszenen zwischen indischen Göttern und Dämonen aktuell. Er hat aber auch wunderschöne Bilder von indischen Göttern oder behindeten Kindern gemalt.
Um 19.00 Uhr gehen die Kinder entweder ins Girls- oder ins Boys-Hostel spielen. Um 19.45 Uhr gibt es dann für uns in einem der Hostels das Nachtessen. Wieder Reis und Dahl mit Gemüse.
Wenn wir nachhause kommen, ist es mindestens 20.30 Uhr. Dann heisst es Pyjama anziehen, Zähne putzen und ab ins Bett. Meistens schlafen die Kinder noch während der ersten Kassettenseite ein. Nach ein paar Mails oder einem vergeblichen Telefonversuch via Skype in die Schweiz lege auch ich mich ins Bett neben meine Kinder (da wir den anderen Raum Christin überlassen haben) und versuche, im harten Bett eine bequeme Stellung zu finden.
Zu meinem Tag gehört die Arbeit im Kiran und für Finian und Linus da zu sein, viel zuzuhören (den vielen Kiran-Bewohnern und meinen Kindern), Räume zu wischen, Geschirr und Wäsche zu waschen, Material und Essen zu organisieren, zu verarzten, Entscheidungen zu treffen, umzuorganisieren und vieles, vieles mehr. Man braucht viel Zeit und Geduld. Der indische Weg ist nicht der schnellste, aber sehr herzlich. So falle auch ich jeden Abend erschöpft, aber zufrieden und dankbar ins Bett.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen