Montag, 7. März 2011

Wiedersehen mit Maria

Jedes zweite Wochenende fahren wir mit dem Kiran-Angestellten-Bus um 16.30 Uhr nach Varanasi. Am Assi-Ghat (einem der acht wichtigen Gebetsorte am Ganges) nehmen wir jeweils ein einfaches und billiges Zimmer. Ich bin froh, dass Finian und Linus nicht heikel sind. Manchmal verfügt man kaum über ein Brünneli und spuckt beim Zähneputzen einfach in einen Kessel. Und das Doppelbett teilen wir uns auch zu dritt. So wie die Inder.


Bei unserem ersten Besuch in Varanasi haben wir meine langjährige Freundin Maria in ihrem kleinen Nähatelier besucht. Ich habe sie das letzte Mal vor zweieinhalb Jahren gesehen. Sie hat inzwischen vier Angestellte. Alles ehemalige Kiran-Kinder, die nun erwachsen sind und einen Job brauchen. Durch ihre Behinderungen ist es nicht einfach, in Varanasi eine Arbeit zu finden. So nähen und sticken sie verschiedene Artikel für den Kiran-Laden und eine andere soziale Organisation. Maria (mit weisser Jacke) ist wie immer ein Sonnenschein, und ich freue mich so sehr, sie wieder zu sehen. Natürlich werden wir gleich für den nächsten Tag bei ihr zum Essen eingeladen. Südindische Küche – köstlich! Finian und Linus essen wieder mal nur Reis. Das ist für Maria sehr schwer zu verstehen, da sie sich so viel Mühe gegeben hat. Für die speziellen Linsenfladen hat sie zwei Tage gebraucht. Und dann essen diese zwei verwöhnten Kinder kaum einen Bissen. Ich verstehe die Kinder, aber gleichzeitig schäme ich mich auch ein wenig für ihr Luxusbenehmen.


Am Assi-Ghat entdeckt Finian natürlich gleich die zwei eingesperrten Uhus. Der Besitzer erklärt uns, dass man für 500 Rupies die beiden Uhus fliegen lassen kann. Das Ritual wird für die Göttin Lakschmi (Göttin für Wohlstand und Reichtum) gemacht und bringt viel Glück (und natürlich Wohlstand und Reichtum)! Da Finian und Linus die beiden Uhus unbedingt befreien möchten, willige ich ein (aber nur für 200 Rupies = 4 Fr.), obwohl ich natürlich weiss, dass diese Aktion weitere Uhu-Gefangenschaften fördert. Der Besitzer nimmt die beiden Uhus raus, legt Finian einen an die Stirn, umkreist mit dem Uhu fünfmal seinen Kopf und gibt ihn Finian für die Freilassung. Das ganze Spektakel wird auch bei Linus durchgeführt. Danach sitzen zwei befreite Uhus oben im Baum, und zwei glückliche Kinder können es kaum fassen, dass sie einen flauschigen Uhu streicheln und freilassen durften.


Danach laufen wir am Ganges auf den Bade-Ghats entlang. Überall sieht man was Neues und Ungewohntes. Die Baderituale an den Ghats, Bootsbauer, Bootsfahrer, Wäscher, die die Wäsche auf die Steine schlagen und auf den Ghat-Treppen zum Trocknen hinlegen, spielende Kinder (mit Drachen oder Cricket), Sadhus im Gebet und viele Inder, die auch auf den Ghats spazieren gehen und uns immer wieder fragen, ob wir sie fotografieren oder wenn sie eine eigene Kamera haben (eher selten), ob sie sich mit Finian und Linus zusammen fotografieren lassen dürfen. So werden auch wir immer wieder zum begehrten Fotoobjekt. Dass sich so viele Inder gerne fotografieren lassen, ist für uns natürlich sehr praktisch. Für viele Inder ist das die einzige Chance, sich mal selbst auf dem kleinen Fotobildschirm zu betrachten. Wenn sie sich sehen, strahlen sie über beide Backen und bedanken sich herzlich. Fast alles, was uns vor die Linse kommt, darf daher problemlos fotografiert werden, ausser den Verbrennungs-Ghats. Dort werden die Leichen, die auf Bambus-Barren durch die Stadt an eines der beiden Verbrennungs-Ghats gebracht wurden, in oranges Tuch gewickelt und auf einem Holzhaufen verbrannt. Ich bin erstaunt, wie selbstverständlich Finian und Linus mit diesen Verbrennungsszenen umgehen. Da ich ihnen bereits viel über den Tod und die Art, wie hier Menschen verbrannt werden, erzählt habe, waren wohl die Bilder nicht ganz neu für sie. Trotzdem riecht man den süsslichen Duft und spürt die besondere Stimmung. Nach Hinduglauben wird der Mensch, der in Varanasi am Ghat verbrannt und dessen Asche der Mutter Ganga (Fluss) übergeben wird, nicht mehr reinkarniert. Das heisst, dass die Seele nicht mehr wiedergeboren wird und direkt ins Nirwana kommt. Es ist also ein grosses Glück, in Varanasi zu sterben und hier verbrannt zu werden. Daher gibt es hier auch viele Sterbehäuser mit alten Menschen, die auf den Tod warten.

Was Finian viel mehr berührt und beschäftigt, sind die bettelnden Leprakranken, die man auch immer wieder sieht. Auch für mich ist dies immer wieder ein Anblick, der mich sehr beschämt und traurig macht. Und trotzdem freut es mich, dass Finian ein Herz für die Lebenden hat und den Tod als etwas Natürliches ansehen kann.


Der Februar ist einer der wichtigsten Heiratsmonate. Wir beobachten immer wieder die Paare, die an den Ganges kommen, um dort für eine gute Ehe zu beten. Wir sehen viele verschiedene Rituale und meistens eher unglückliche Hochzeitspaare. Noch heute werden fast alle Hochzeiten arrangiert. Die Braut hat es besonders schwer, da sie mit der Hochzeit das Elternhaus für immer verlässt und ins Haus des Bräutigams und der Schwiegereltern zieht. Oft sehen sich die Braut und der Bräutigam an der Hochzeit das erste Mal.

Finian ist wie ein Schwamm. Alles was er sieht, saugt er in sich auf und ist so ziemlich an allem interessiert. Seine Wissbegierde hat also in Indien nicht halt gemacht. Und da es hier tausende von Geschichten, Göttern und Ritualen gibt, wird es ihm auch nie langweilig. Er hat mir gesagt, dass er wohl in seinem Leben noch viele Male nach Indien kommen wird. Ich hoffe, er nimmt mich dann mit!

Linus macht alles ganz spielerisch mit und ich staune oft, was er doch alles begriffen hat. Wenn es nach ihm ginge, dann könnten wir aber auch bald wieder in die soooo schöne Schweiz. Dort, wo seine Freunde sind und alle seine Sprache verstehen.

1 Kommentar:

  1. Liebe Petra
    Habe gerade deinen Blog verschlungen und ich bin eingetaucht in eine ganz andere Welt. Wahnsinn was wir alles erlebt. Es freut mich so, dass ihr euch gut eingelebt habt. Bestimmt hat auch eine grosse Erfahrung geholfen und die Kinder wussten was auf sie zukommt. Toll wie Finian alles in sich aufsaugt und was ihn beschäftigt – eine wunderbare Erfahrung für Finian und Linus. Tapferer Linus! Ist bestimmt gar nicht einfach, wenn man im Kindsgi bereits lange still sitzen und bereits soviel lernen sollte. Aber wie ich aus deinem Blog lesen kann, fühlt er sich jeden Tag wohler und vertrauter.
    Wir waren gerade eine Woche in Zuoz in den Skiferien. Es war so schön und wir haben für nächstes Jahr gerade wieder gebucht. Annika und Nils haben nun wieder mit der Schule resp. Grundstufe begonnen und sind fast nur draussen am Fussballspielen. Wir haben momentan herrliches Wetter, wenn auch noch mit einer frischen Bise.
    Morgen treffe ich Caron zum Kafi – wir denken dann ganz fest an DICH!
    Von Herzen wünsche ich euch weiterhin eine wunderschöne Zeit im Kiran und ich freue mich bereits wieder auf eure Erzählungen.
    Alles Liebe und wir vermissen euch alle!
    Rachel

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